Der Freitag: Sie haben kürzlich in Frankfurt am Main auf einer Tagung zur „Politischen Romantik“ über Lars von Triers Film „Nymphomaniac“ gesprochen. Charlotte Gainsbourg versucht in diesem Film, einen nackten, gefesselten Mann mit erotischen Fantasien zu provozieren.
Srećko Horvat: Gainsbourg will dem Mann sein sexuelles Geheimnis entlocken, um ihn später erpressen zu können. Sie erzählt ihm also Geschichten von Orgien und redet über Gruppensex, doch der Mann zeigt nicht die geringste Reaktion. Dann schildert sie ihm einen kleinen Jungen, der in Shorts durch den Wald läuft. Da bekommt er eine Erektion. Er wusste selbst nicht, dass er eine pädophile Veranlagung hat. Gainsbourg holt sie quasi aus seinem Unbewussten. Mein Punkt war, zu sagen: Auch die Linke könnte heute so eine nymphomanische Geschichtenerzählerin brauchen.
Worin besteht die Analogie?
Die Episode zeigt, dass Menschen etwas besitzen, was Donald Rumsfeld mal als „unknown unknowns“ bezeichnet hat, heimliche Begierden also, von denen wir selbst nicht wissen. Ich würde die Linke in diesem Sinne gerne testen: Ich würde sie nackt auf einen Stuhl binden und ihr von Charlotte Gainsbourg schmutzige Geschichten erzählen lassen.
Was für Geschichten wären das?
Vor allem über die Machtfrage. Was, wenn die Linke tatsächlich politische Verantwortung übernähme, wenn Occupy Wallstreet eine Partei gründen würde? Dann schauen wir mal, was passiert!
In Frankfurt haben Sie auch Alain Badious Wort von der „Impotenz“ der Linken zitiert. Wie passt der Befund des marxistischen Philosophen zu den heimlichen Begierden der Linken?
Ich bin sehr skeptisch gegenüber Badious Kritik der heutigen „Impotenz“. Ich glaube, wir würden eine Überraschung erleben, wenn wir die Linke diesem kleinen Experiment unterziehen würden. Es wäre nicht unwahrscheinlich, um in der Analogie von Nymphomaniac zu bleiben, dass viele Aktivisten eine Erektion bekämen, wenn man sie mit den aktuellen Tabus des linken Denkens konfrontieren würde. Dann würde sich nämlich zeigen, dass es da ein gestalterisches Potenzial und einen Willen zur Macht gibt, der von sich selbst noch nichts weiß, weil sich die Bewegung nicht wirklich aus der Deckung traut. Ich halte die Frage der Parteigründung deswegen für eine der wichtigsten überhaupt.