Interviews

"Migranten haben lange Wege"

Mascha Dabić, dastandard.at

Die Literaturübersetzerin Alida Bremer hat ihren ersten Roman veröffentlicht. Es ist eine Familiengeschichte mit autobiografischen Zügen



 

Alida Bremer ist bekannt als Literaturübersetzerin, die zahlreiche kroatische, serbische und bosnische Autoren einem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich gemacht hat. Die in Split geborene und in Münster lebende Literaturwissenschaftlerin hat nun ihren ersten Roman vorgelegt. "Olivas Garten" erzählt in stark autobiografischen Zügen von der Geschichte einer kroatischen Familie aus der Sicht einer in Deutschland lebenden Erzählerin, die von ihrer Großmutter einen Olivenhain an der Adriaküste geerbt hat und sich, um ihr Erbe anzutreten, nicht nur mit der kroatischen Bürokratie, sondern auch mit der nicht minder komplexen Geschichte ihrer Familie auseinandersetzen muss. Die Ich-Erzählerin taucht ein in die Erinnerungen und Erzählungen ihrer Verwandten und findet allmählich heraus, welche Spuren die politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts im familiären Gefüge hinterlassen haben, was wie erzählt und was verschwiegen wird.

Bremer las am Montag in der Hauptbücherei in Wien aus ihrem Buch und sprach mit daStandard.at unter anderem darüber, warum Migranten immer zu spät dran sind und warum sie auf Reisen in erster Klasse gut verzichten kann.


daStandard.at: Sie haben Ihr erstes Buch auf Deutsch geschrieben und nicht auf Kroatisch. Warum?

Bremer: Ich hätte dieses Buch niemals auf Kroatisch schreiben können, da hätte ich viel zu viele Hemmungen gehabt. In Kroatien ist der Partisanenkampf stark politisch belastet, viele Themen sind heiß umkämpft und führen unweigerlich zu hitzigen Diskussionen. Auf Deutsch zu schreiben war eine wunderbare Lösung, ich hatte totale Distanz.

daStandard.at: Sie brauchten also die sprachliche Distanz, um sich einem intimen Thema anzunähern?

Bremer: Ja, ganz genau.

daStandard.at: Möchten Sie Ihr Buch ins Kroatische übersetzen lassen? Wäre es denkbar, dass Sie als erfahrene Literaturübersetzerin das selbst übernehmen?

Bremer: Ich könnte es nicht selbst übersetzen, es würde ein ganz neues Buch werden, und ich würde die gleichen Hemmungen bekommen, wie wenn ich es auf Kroatisch geschrieben hätte. Am liebsten würde ich überhaupt eine Übersetzung ins Kroatische untersagen, weil ich mich vor den Schlammschlachten in den Internetforen fürchte, aber ich bin ja nicht die Donna Leon. (lacht)

Sollte sich ein kroatischer Verlag finden, würde ich mich jedenfalls in die Übersetzung nicht einmischen. Es gibt fantastische kroatische Literaturübersetzer, ich würde ihnen sicherlich nicht ins Handwerk pfuschen wollen.

daStandard.at: Neben der Migration von Kroatien nach Deutschland haben Sie inzwischen auch eine berufliche Migration absolviert, von der Literaturübersetzerin zur Autorin. Wie fühlt sich das an?

Bremer: Ein bisschen fremd. Meine erste Lesung hatte ich im Literaturhaus Köln, wo ich schon oft für Autoren gedolmetscht habe. Dann war ich plötzlich in einer anderen Funktion da, als Autorin, und auf einmal wird man abgeholt und hingefahren. Bei der Abreise fragte mich die Organisatorin, "Soll Sie jemand abholen?" - das war mir total fremd. Seit Jahren organisiere ich diese Dinge für die anderen und bin alleine mit meinem Koffer unterwegs, und plötzlich soll ich diejenige sein, die abgeholt wird ...

daStandard.at: Könnte man sich daran gewöhnen?

Bremer: Mit 30 hätte ich mich daran gewöhnt, heute bin ich zu alt dafür. (lacht) Ich denke immer ökonomisch. Wenn ein Verlag sagt, wir zahlen erste Klasse für die Fahrt zur Buchmesse, dann sage ich sofort Nein, nicht doch, ich habe eine Bahncard. Ich weiß eben aus meiner eigenen organisatorischen Arbeit, erste Klasse bedeutet immer, dass einer weniger fahren kann. Da kann ich nicht plötzlich umschalten. Ansonsten ist die Rolle als Autorin lustig und witzig. Generell fühle ich mich als Literaturwissenschaftlerin in der Literatur völlig zu Hause.

daStandard.at: War das Schreiben also eine logische Entwicklung?

Bremer: Ich habe immer wieder viel geschrieben, Vorworte, Nachworte, Kommentare, Kritiken oder Kolumnen in Zeitungen, aber nie einen richtigen Roman. Den Schritt, selbst literarisch zu schreiben, hätte ich viel früher machen sollen. Ich denke, ich hätte das schon längst getan, wenn ich keine Migrantin gewesen wäre.

daStandard.at: War die lange Anlaufzeit eine Folge der Migration?

Bremer: In gewisser Weise, ja. Migranten haben lange Wege, lange Anlaufzeiten, bis wir irgendwo Fuß gefasst haben. Ich sage nicht, dass irgendjemand schuld daran ist - es ist einfach schwieriger. Meine Eltern konnten mir nichts geben, ich musste alles selbst finanzieren und viel arbeiten, und daneben hatte ich nicht viel Muße zum Schreiben. Als Übersetzerin nahm ich jeden Auftrag an, ich wusste ja nicht, was morgen kommt, und wie sollte ich mir da einfach ein Jahr freinehmen und ein Buch schreiben? Die Miete musste bezahlt werden und so weiter. Ich will mich aber nicht beklagen, man kann nicht zurück, so ist es halt ...

daStandard.at: Man ist als Migrant also gewissermaßen immer zu spät dran?

Bremer: Genau das hat mir eine Schulfreundin aus Split vor kurzem am Telefon gesagt. "Du hast eine ständige Verspätung", sagte sie. So ging es mir mit der Uni-Karriere. Als ich endlich promoviert habe, waren die anderen längst habilitiert, und in vielen anderen Dingen ging es mir auch so.

daStandard.at: Hat sich bei Ihnen so wie bei der Ich-Erzählerin auch die Frage nach der Zugehörigkeit gestellt? 

Bremer: Meine Erzählerin ist definitiv eine Erzählerin zwischen den Welten. Und natürlich gab es auch bei mir diesen ständigen Erklärungsbedarf. Aber mit dem Alter wird man souveräner, man erkennt immer mehr, ich bin ich, das ist mein Weg, und alle Etiketten fallen ab.

Wenn man mich in Deutschland fragt, "Fahren Sie oft nach Hause?", finde ich das seltsam. Mein Zuhause ist in Münster und nicht in Split. Ich weiß, es ist nur ein Sprachgebrauch, und derjenige, der fragt, reflektiert nicht, dass er mich damit gewissermaßen abschiebt. Ich bin in Deutschland überhaupt nicht mit Nationalismus konfrontiert, und trotzdem fällt mir manchmal auf, dass die Menschen sich nicht wirklich fragen, wie es denn ist, von null anzufangen. Ja, man schafft es, man fügt sich, man ist zufrieden, aber trotzdem ist es eine starke Erfahrung, als Migrant irgendwo hinzukommen. Auch eine Frau, die ihr Dorf verlassen hat und in Düsseldorf putzen geht, hat einen riesigen Schritt gemacht. Da ist eine Menge Energie dahinter, aber das wird oft nicht erkannt. Es ist schade, dass unser aller Beitrag auf allen Ebenen letztendlich nicht ausreichend gewürdigt wird.

daStandard.at: Jetzt, da Sie auch Romanautorin sind, haben Sie da einen anderen Blick auf das Übersetzen?

Bremer: Ich schätze das Übersetzen unglaublich hoch. Aber es ist nach wie vor eine absolut unterschätzte Tätigkeit, trotz häufiger Lippenbekenntnisse und Förderprogramme. Ein Literaturübersetzer muss gebildet sein, Referenzen erkennen, Dinge erforschen ... Und es ist ja nicht so, dass wir alle Shakespeare-Übersetzer wären und uns ein Leben lang daran erfreuen könnten. In der Realität ist es so, dass wir vieles machen müssen, das keinen Spaß macht. Natürlich ist Übersetzen an sich eine schöne Arbeit, aber um eine wirkliche Erfüllung zu erleben, ist das eigene Schreiben viel spannender. Übersetzen und Schreiben gehören jedoch zusammen, viele gute Schriftsteller haben sich als Übersetzer erprobt. (Mascha Dabić, daStandard.at, 1.10.2013)

 


Alida Bremer, geboren 1959 in Split in Kroatien, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Romanistik, Slavistik und Germanistik in Belgrad, Rom, Saarbrücken und Münster. Sie ist eine der wichtigsten Vermittlerinnen der kroatischen Kultur in Deutschland, als Übersetzerin ist sie die deutsche Stimme von unter anderen Edo Popović, Ivana Sajko, Renato Baretić und Marko Pogačar. Sie hat zahlreiche Bücher und Sammelbände zu kroatischen Autoren und Themen veröffentlicht, "Olivas Garten" ist ihr erster Roman.


 

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Der Text ist ursprünglich in der Literaturzeitschrift Most/The Bridge (Heft 3-4, 1979) erschienen.

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